… mit seinem Abriss 2014 versank ein Stück bewegte Klingenthaler Geschichte. Mitarbeiter des Sachgebiets Kultur und Tourismus der Stadt Klingenthal retteten während einer letzten Begehung wenige Tage vor dem Gebäudeabriss historisch aussagefähige Unterlagen. – Sie geben Auskunft über die Enteignung der Eigentümerfamilie ebenso, wie über geschichtliche Ereignisse einer besonders bewegten Zeit:
Der „Braune Hirsch“ war einst das „erste Haus am Platz“ und öffnete 1719. Am 10.3.1852 wurde im Grundbuch die „volle Gastgerechtigkeit mit Ausschluss des Tanzmusikhaltens“ eingetragen. 25 Zimmer, Gaststube, und eine damals moderne sanitäre Einrichtung machten das „Hotel zum braunen Hirsch“ in zentraler Lage zu einem überregional angesehenen Hotelbetrieb. In zahlreichen Annoncen wirbt das Haus mit dem Slogan „Jedes Zimmer mit fließend Wasser“. Während einst Handelsreisende, der Sächsische König oder die gehobene Bürgerschaft die niveauvolle Atmosphäre zu schätzen wussten, begann der Verfall seit Mitte der 1920er Jahre. In den geretteten Unterlagen finden sich unbezahlte Rechnungen und Schuldscheine Klingenthaler Brauereien und Schriftverkehr mit Ämtern und Versicherung über Nachlässigkeiten des Brandschutzes und unerfüllter Bauauflagen, die wegen Geldmangels ausblieben. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse bis zum Beginn der 1930er Jahre und die eingeschränkte Geschäftsfähigkeit des kranken Eigentümers Hugo Herold zehrten an der Bausubstanz und damit auch am Ruf des Hauses.
Nach Kriegsende 1945 wurde der „Braune Hirsch“ vom 10. – 23. Juni 1945 von der amerikanischen Militärverwaltung beschlagnahmt. Nach Abzug der Amerikaner folgte die Rote Armee. Wegen der Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen hielten Anfang Juli 1945 sowjetische Soldaten in Klingenthal Einzug. Der sowjetische Stadtkommandant Kalinin zog am 5. Juli 1945 in den „Braunen Hirsch“ ein, denn noch immer war das Hotel in zentraler Lage mit genügend Zimmern und vor allem mit einem repräsentativen Saal auch ein symbolisches Aushängeschild auch für die Besatzer.
„Der Hotelbetrieb ruht“ heißt es in der Einkommenssteuererklärung 1945, Herold`s Witwe schrieb an das zuständige Finanzamt: „Wir haben seit Juli 1945 ausziehen müssen und daraus keinerlei Einkommen gehabt. Endlich erhalten wir für das zweite Vierteljahr pro Kopf 500 RM. (…) Ich bin eine alte Frau. Wir wissen nicht, wovon wir in Zukunft leben sollen“. Auf die Aufforderung des Finanzamtes Adorf auf Vorauszahlung von Gewerbesteuer für den Hotelbetrieb antwortete sie: „Die Russen sind da, ich habe nichts mehr“.
Am 30. September 1946 zog die Rote Armee wieder aus – einen Scherbenhaufen hinterlassend. Der Hotelbetrieb sei so nicht mehr aufrecht haltbar, teilten „Hugo Herold`s Erben“ an die Klingenthaler Stadtverwaltung mit und forderten eine Entschädigung. Die Antwort war schon damals ein Vorbote weiterer flächendeckender Enteignungen: Am 13. November 1946 wurden „Hugo Herold`s Erben“ aufgefordert, am darauffolgenden Tag die Schlüssel für das Gebäude im städtischen Wohnungsamt abzugeben. Das abrupte Ende einer Ära war besiegelt. Es folgten als Nutzer Umsiedlerfamilien, der FDGB, der Kulturbund der DDR und eine Betriebsküche der HO.
Kurz vor dem Abriss war das Gebäude in einem heruntergewirtschafteten Zustand, es herrschte Einsturzfahr. Von der einst mondänen Einrichtung war keine Spur mehr, das Dach teilweise eingebrochenen, herunterhängende Tapeten, Moos an Wänden und auf Fußböden. Einzig das großzügige steinerne Treppenhaus und das böhmische Kappengewölbe im Keller erinnerten noch an bessere Zeiten. Achtlos in eine feuchte Ecke geworfen lagen die Unterlagen, welche sich heute im Museumsarchiv befinden. Das „Hotel zum braunen Hirsch“ war von der Weltgeschichte sprichwörtlich überrollt worden und auf der Strecke geblieben. (XB)
Diese Postkarte zeigt das gehobene Ambiente des Hotels.